Arthrose: Warum sind Frauen stärker betroffen?
Ferre IM, Roof MA, Anoushiravani AA, Wasterlain AS, Lajam CM. Understanding the Observed Sex Discreüancy in the Prevalence of Osteoarthritis. JBJS Reviews 2019;7(9):e8. doi: 10.2016/JBJS.RVW.18.00192
Sowohl Prävalenz als auch Inzidenz der Arthrose sind bei Frauen deutlich höher als bei Männern. Und der wahre Unterschied könnte dabei sogar unterschätzt werden, schreibt eine Gruppe von Autorinnen aus dem Langone Orthopedic Hospital in New York.
Hintergrund
Denn Frauen werden offenbar auch erst später im Krankheitsverlauf operiert, was die Quantifizierung anhand der Gelenksersatzoperationen verzerrt. Grund genug für die Autorinnen, sich mit möglichen Ursachen für den geschlechtsassoziierten Unterschied in Entstehung und Verlauf zu befassen. Die 2019 erschienene narrative Übersichtsarbeit gibt einen Überblick über etliche der in der Literatur diskutierten Hypothesen.
Der Review startet mit einer überraschenden Beobachtung: Die Inzidenz (also die Anzahl der Neuerkrankungen pro Zeiteinheit) der Arthrose ist bei den unter-55-jährigen Männern und Frauen ähnlich. Erst im sechsten und siebenten Lebensjahrzehnt liegen die Frauen in der Inzidenz voran. Nach der achten Dekade beginnt sich die Inzidenz wieder der der Männer anzugleichen.
Dieser Befund relativiert die häufig geäußerte Vermutung, dass die Ursache für den Geschlechtsunterschied allein in der längeren Lebenserwartung von Frauen zu suchen sei. Gleichzeitig macht er Hoffnung darauf, dass die Arthrose, immerhin quasi ein „Nebenprodukt“ des Alterns, stärker auf modifizierbare Faktoren zurückzuführen und daher auch präventiven Interventionen besser als gedacht zugänglich sein könnte. Das Alter allein erklärt den Geschlechtsunterschied wohl nicht.
Die klinische Bedeutung der Arthrose wird in erster Linie durch den Schmerz definiert (der, wie man weiß, mit dem radiologischen Befund oft nicht viel zu tun hat). Anders als bei Verletzungen tritt der Schmerz freilich nicht plötzlich und heftig auf, sondern wird nach und nach stärker. Zu welchem Zeitpunkt man als Patientin oder Patient den Arzt aufsucht, hängt daher von der individuellen Schmerztoleranz ab. „Damit“, so schreiben die Autorinnen, „ist die Prävalenz der dokumentierten Arthrose von einer nicht quantifizierbaren, psychologischen Schwelle abhängig“. Womit die Frage bleibt, ob es für diese Schwelle geschlechtsspezifische Unterschiede gibt.
Erkenntnisse
Schmerzwahrnehmung basiert auf biologischen, psychologischen und soziokulturellen Faktoren. Alle diese Domänen zeigen geschlechtsbezogene Besonderheiten. So beeinflussen soziale Normen, wie wir über unseren Schmerz denken und sprechen (und wie der Arzt oder die Ärztin darauf reagiert). Auf biologischer Seite weiß man beispielsweise, dass Geschlechtshormone Einfluss auf die Schmerzempfindlichkeit haben: So wurde eine gewisse Zyklusabhängigkeit der Schmerzschwelle beschrieben. Auch hier gibt es also eine Reihe von möglichen geschlechtsspezifischen Einflussfaktoren auf die Inzidenz der dokumentierten, klinisch relevanten Arthrose.
Der Einfluss der Geschlechtshormone auf das Thema Arthrose beginnt jedoch nicht erst mit dem Schmerz. Östrogen beispielsweise könnte entzündungshemmende Eigenschaften haben, die sich positiv auf die Knochengesundheit auswirken. Andererseits geht der Knorpelverlust bei Frauen offenbar rascher vonstatten als bei Männern – und Studien an Tieren legen einen Zusammenhang zwischen dem Knorpelstoffwechsel und dem Östrogen nahe. Dazu kommt, dass das Kniegelenk
von Frauen, möglicherweise östrogenbedingt, im vorderen Bereich etwas lockerer ist als das von Männern.
Bereits die Anatomie des Skeletts, im Besonderen die des Beckens, führt zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Biomechanik und damit potenziell auch in der Pathogenese der Arthrose. Das Knie von Frauen unterscheidet sich vom männlichen Knie, nicht nur in der Größe der beteiligten Knochen, sondern auch in den Seitenverhältnissen des distalen Femur und der Tibia, in der Höhe der Femurkondylen, den Ausmaßen der Patella etc.
Es ist eine Binsenweisheit, dass Übergewicht ein wichtiger Risikofaktor für die Entstehung einer Knie- oder Hüftarthrose ist; Hintergrund sind biomechanische, aber auch biochemische Veränderungen (z.B. die Sekretion von Zytokinen durch das Fettgewebe). Die Autorinnen weisen darauf hin, dass sich ein hoher BMI bei Frauen offenbar stärker auf die Inzidenz der Kniearthrose auswirkt als bei Männern!
Viele ernährungsbedingte Einflüsse auf das Arthrosegeschehen wurden diskutiert, darunter Lipide, Serumcholesterin, Vitamin D und Vitamin K. Zu Vitamin D gibt es die meisten Daten – und ein Vitamin-D-Mangel ist bei Frauen häufiger als bei Männern. Gleichzeitig sind ein hoher BMI, aber auch höheres Alter Prädiktoren für einen Vitamin-D-Mangel, was einen möglichen Einfluss auf die Arthrose unterstreicht. Die Autorinnen betonen hier besonders den Forschungsbedarf: Sollte sich die Faktenlage im Hinblick auf Vitamin D nämlich erhärten, wäre das ein vielversprechendes Feld für Präventivstrategien gegen Arthrose. Leider gibt es in der Literatur nur wenige geschlechtsspezifische Analysen klinischer Arthrosedaten. Das macht es schwierig, Schlüsse zu ziehen. Dabei ist die Arthrose eine sehr häufige Erkrankung, die die Betroffenen stark beeinträchtigt. Steigende Lebenserwartung, aber auch Zunahme von Risikofaktoren wie Übergewicht werden die Inzidenz weiter erhöhen. Und durch das Altern der Baby-Boomers und zunehmende Ansprüche an Mobilität und Lebensqualität wird die Häufigkeit von Gelenksersatzoperationen in absehbarer Zeit wohl enorm zunehmen.
Umso wichtiger ist es, die Erkrankung besser zu verstehen. Der Forschungsbedarf ist, wie man sieht, hoch.
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei anti-inflammatorischen Wirkstoffen
Forschung und Wissen über Gendermedizin nehmen kontinuierlich zu, dennoch gibt es noch relativ wenige systematische Daten aus klinischen Studien, und Frauen waren in der Vergangenheit in diesen oft unterrepräsentiert. Eine österreichische Publikation zeigt detailliert den Einfluss des biologischen Geschlechts auf Pharmakokinetik und Pharmakodynamik anti-inflammatorischer Wirkstoffe.

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